Rede zum 8. Mai 2021 auf dem Rathausmarkt

Liebe Antifaschistinnen, liebe Antifaschisten,

ich freue mich, heute auf diesem Befreiungsfest zu Euch sprechen zu dürfen.

Als ich 1997 nach Hamburg zog, hatte ich das riesige Glück, bei der Solidarischen Hilfe zu arbeiten. Ein Pflegedienst, der von der Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes, der VVN BdA hier in Hamburg gegründet wurde. Und so lernte ich Menschen kennen, die in meinem Leben, in meinem Herzen einen sehr großen Platz eingenommen haben. Hilde Benthien, deren Eltern beide im KZ Fuhlsbüttel inhaftiert waren, weil sie Wehrmachtsdeserteure versteckten. Sie selbst sammelte Lebensmittelmarken um Illegale zu versorgen und musste häufig die blutdurchtränkte Wäsche ihrer Eltern abholen. Olga Poppe, die von den Nazis zwangssterilisiert wurde und als eine der so genannten „Asozialen“ behandelt wurde. Martha Naujoks, die bei der Bezirksleitung der KPD Wasserkante arbeitete, mit Hilfe ihrer Genossen Walter und Ille Wendt versteckt werden und dann in die Sowjetunion fliehen konnte. Ihr Mann Harry Naujoks war 12 Jahre im KZ und Lagerältester in Sachsenhausen. Käthe Landgraf, die in Barmbek-Basch in der Nazizeit auf Laternen kletterte, um rote Fahnen und Plakate aufzuhängen. Einmal wurde sie von SA Leuten erwischt, aber sie blieb so lange oben auf der Laterne, bis die Nazis nicht mehr warten wollten.

Und Flora, Flora Neumann. Diese Frau, die mit ihren 1,45 m zu den größten Menschen gehört, die ich in meinem Leben kennen gelernt habe. Sie kam aus einer jüdischen Familie, die verarmte, als der Vater krank aus dem ersten Weltkrieg wieder kam. Mit ihrer Schwester Paula musste sie in die Fabrik, um Geld zu verdienen. Schell schloss sie sich der linken jüdischen Jugend an, las gemeinsam mit anderen das Kapital von Marx, auch wenn ihr oft vor Müdigkeit die Augen zufielen. Ihre Schwester Paula, ihre Mutter, der größte Teil ihrer Familie wurde in Auschwitz umgebracht. Wenn ich ihr beim Waschen half, so rief die eintätowierte Nummer auf ihrem Arm die Erinnerungen immer wieder wach. Mir liefen die Tränen herunter, wenn wir zusammen am Küchentisch saßen und sie von Auschwitz erzählte. Wie sadistische betrunkene SS-Männer einfach so zum Spaß jüdische KZ-Häftlinge aus Griechenland in ein Salzsäurebad stießen. 3 Männer mit denen Flora am Tag zuvor ihr kärgliches Frühstücksbrot in der Werkshalle gegessen hatte.

Für sie alle, für Hilde, Martha, Olga, Käthe, Flora und die vielen, vielen, die ich hier nicht nennen konnte, für sie alle war der 8. Mai, die militärische Zerschlagung des Faschismus, ein Tag der Befreiung! Der 8. Mai, der Tag der Befreiung von Faschismus und Krieg, muss endlich zum Feiertag werden!

Unsere Geschichte, die Seite, auf die wir uns stellen wollen, das ist die Seite derjenigen, die verfolgt wurden, das ist die Seite derjenigen, die sich dem Faschismus entgegen gestellt haben. Millionen von Menschen haben ihr Leben gegeben, das Kostbarste, was ein Mensch zu geben hat, um die Befreiung zu erkämpfen. Millionen von Menschen haben gekämpft, um den Hitlerfaschismus nieder zu ringen. Ihnen gehört unser Respekt und Dank.

Die Hauptlast des Krieges und auch den größten Anteil an der Niederschlagung des Faschismus trug die noch junge Sowjetunion. Der Krieg gegen sie wurde mit besonderer Brutalität geführt, Gefangene wurden erschossen, Dörfer verbrannt und dem Erdboden gleichgemacht, die Stadt Leningrad über 800 Tage belagert und ausgehungert. Alleine in der Sowjetunion gab es 27 Millionen Tote. Am 22. Juni jährt sich zum 80. Mal der Angriff der deutschen Faschisten auf die Sowjetunion. Lasst uns auch diesen Tag zu einem würdigen Gedenktag machen!

Kriege brechen nicht aus, Kriege werden gemacht und in diesen Kriegen gibt es Opfer und es gibt Nutznießer.

Die deutsche Bourgeoisie hatte nach dem ersten Weltkrieg 1918 eine zweifache Niederlage hinnehmen müssen und zwar sowohl außenpolitisch als auch innenpolitisch. Der Krieg war verloren und man musste den Vertrag von Versailles akzeptieren, für das deutsche Kapital bedeutete das den Verlust von Absatzmärkten, Fabriken, Kohlebergwerken und anderen Rohstoffquellen.

Auch innenpolitisch erlitten sie eine Schlappe: zwar konnte verhindert werden, dass sich die Arbeiterbewegung die ganze Macht nahm und eine Räterepublik aufbaute, aber trotzdem mussten der Arbeiterbewegung weitgehende Zugeständnisse gemacht werden: Einführung des 8-Stundentags, Absetzung des Kaisers, Ausrufung der Republik; Aufhebung des Ständewahlrechts, gleiches Wahlrecht für alle inklusive des Frauenwahlrechts, Mitbestimmung in den Betrieben, Arbeitslosenversicherung.

Mithilfe der Faschisten versuchten die Fabrikanten und Bankbesitzer ihre alte Vormachtstellung zurückzuerobern und sich die Vormacht in Europa zu sichern. Nach dem Bruch des Versailler Vertrags durch die Nazis und der Wiederaufrüstung auch wieder militärisch. Am 1. September überfiel dann die faschistische Wehrmacht Polen und überzog mit ihren Verbündeten ganz Europa, sowie weite Teile Afrikas und Asiens mit Krieg. Mehr als 50 Millionen Tote waren das Resultat.

Doch es gab Menschen, die sich dem entgegenstellten. Auf diesem Rathausmarkt, der in Zeiten des Nazifaschismus Adolf Hitler Platz hieß, gab es einen kleinen Tabakkiosk, der von Hellmuth Werner geführt wurde. Helmuth war Kommunist und er gehörte der Widerstandsorganisation Jacob-Bästlein-Abshagen an.

Diese Organisation schaffte es, die vereinzelt arbeitenden Widerstandsgruppen wieder zusammen zu bringen. In 30 Werften und Betrieben in Hamburg gründeten sie illegale Betriebsgruppen. Mindestens 300 Menschen gehörten ihr an und sie kamen überwiegend aus der Arbeiterklasse. Wichtig war auch, dass die Organisation es schaffte, gemeinsam mit den ausländischen Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen Widerstand zu entwickeln. Die Gruppe sorgte für Aufklärung und verfasste Flugblätter, wie z.B. das von Franz Jacob geschriebene „Merkblatt für Bauarbeiter“.

Und dieser kleine Kiosk hier am Rathausmarkt war ein Ort der Organisation, um Kassiber auszutauschen und eben diese Flugblätter zu verteilen. In dem Merkblatt für Bauarbeiter heisst es:

… . Kameraden Ihr müßt wissen: Hitlers Niederlage ist nicht unsere Niederlage, sondern unser Sieg! Darum:

Stört den planmäßigen Aufbau der Befestigungsbauten.

Sorgt für langsames und qualitativ schlechtes Arbeiten.

Sabotiert die deutsche Kriegsführung.

Verweigert den militärischen Einsatz bei Überfällen an der Küste und durch Partisanen im Osten. Stellt ein gutes Verhältnis her zu der Bevölkerung der besetzten Gebiete.

Nieder mit dem Krieg der Faschisten!

Es lebe der Sieg der Arbeiterklasse!“

Lasst uns das Wirken der Männer und Frauen des antifaschistischen Widerstands zum Vorbild nehmen, um uns auch der heutigen Kriegstreiberei entgegen zu stellen. Am 1. Mai startete mit dem „Defender Europe 2021“ mit 28.000 Soldaten aus 26 Nationen eines der größten Nato-Manöver. Verteidigung nennen sie das, was die Vorbereitung auf einen neuen Angriffskrieg ist und wieder geht es gegen Russland. Tag für Tag starten Schiffe mit Waffen und Kriegsgerät aus dem Hamburger Hafen, für die einen sind es satte Profite, den anderen bringen sie Tod und Krieg. Unterstützt die Volksinitiative gegen Rüstungsexporte, sammelt Unterschriften, sprecht mit Kolleginnen und Kollegen!

Die Männer und Frauen des antifaschistischen Widerstandskampfes an diesem Tage zu ehren, heisst vor allem eines: ihr Werk weiter fortzuführen.

Wir müssen lernen, um zu verstehen, wie der Faschismus an die Macht gelangen konnte und wie er besiegt werden kann. Wir müssen uns organisieren, um stark zu werden. Wir müssen solidarisch für unsere Rechte als lohnabhängig Beschäftigte kämpfen, für das Teewasser und für eine Gesellschaft ohne Ausbeutung, Faschismus und Krieg. Wir haben viel zu verlieren, aber eine ganze Welt zu gewinnen!